Renaissance am Flussufer

Presseschau: ein Beitrag auf magazinforum.de

24.06.2025 von

Die Wasserkraft steht vor einem Comeback. Jedenfalls steht es im Koalitionsvertrag. So einfach, wie das klingt, ist deren Ausbau aber nicht. Die sogenannte Flusswärmepumpe könnte helfen. Im Beitrag als Expert:innen befragt wurde unter anderem Prof Lehmann.

Sie plätscherte in den letzten Jahren ein wenig unter dem Radar der öffentlichen Energiedebatte dahin: Wasserkraft. Zwischen Photovoltaik-Boom und Windkraft-Diskussion wirkte sie fast wie der vergessene Opa der erneuerbaren Energien: etwas in die Jahre gekommen, solide, aber mit wenig Aufregungspotenzial. Doch vielleicht steht genau dieser stille Energieproduzent vor einem Comeback. Tatsächlich steht die Wasserkraft im Koalitionsvertrag der Bundesregierung so prominent da wie lange nicht. Da ist die Rede davon, dass man „bestehende Potenziale bei der kleinen und großen Wasserkraft und bei Pumpspeicherkraftwerken“ heben will. Ein echter Fortschritt, denn die drei vorangegangenen Regierungen hatten das Thema Wasserkraft schlichtweg ignoriert. Das hatte auch Gründe. „In der Tat sind die Potenziale zur Stromerzeugung aus Wasserkraft in Deutschland nahezu vollständig ausgeschöpft“, sagt Dr. Anna Billerbeck vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung. „Es gibt noch ein geringes Potenzial, aber das liegt zu 70 Prozent in der Modernisierung bestehender Anlagen.“ Neue große Projekte wären zudem ökologisch heikel: Neue Dämme und Wehre verschlechtern den Zustand der Fließgewässer – und das ist rechtlich tabu.

Quelle thermischer Energie

Doch nun rückt eine andere Möglichkeit in den Fokus: Flüsse und Seen als Quelle für thermische Energie, sprich: Flusswärmepumpen. Und diese Technologie, so zeigt sich, hat es in sich. „Das thermisch nutzbare Wärmepotenzial aus Fließgewässern in Deutschland ist erheblich“, betont Prof. Dr. Gerhard Haimerl von der Hochschule Biberach. Besonders interessant sei das für Großstädte. Besonders im Bereich der Niedertemperaturwärme – also alles unterhalb von 100 Grad Celsius – könnten die Flusswärmepumpen glänzen. Und die macht immerhin über zwei Drittel des Wärmebedarfs aus. Eine Flusswärmepumpe funktioniert im Prinzip wie jede andere Wärmepumpe – nur dass sie ihre Energie nicht aus der Luft oder dem Erdreich bezieht, sondern direkt aus einem Fluss oder See. Über ein Einlaufbauwerk wird Flusswasser entnommen und durch einen Wärmeübertrager geleitet, wo seine thermische Energie auf ein Kältemittel übertragen wird. Dieses verdampft, wird in einem Kompressor verdichtet und dadurch auf eine höhere Temperatur gebracht. Die so gewonnene Wärme kann dann in ein Heizsystem – etwa ein Fernwärmenetz oder ein Gebäude – eingespeist werden. Anschließend kühlt das Kältemittel ab, verflüssigt sich, und der Kreislauf beginnt von vorn. Das genutzte Flusswasser wird nur wenige Grad kälter wieder zurückgeleitet.

Die Technik ist nicht neu. In Zürich beheizt eine Anlage im Rathaus schon seit 1937 die Amtsstuben mit Flusswasser. Auch in Mannheim steht ein modernes Beispiel: Eine Wärmepumpe versorgt dort 3.500 Haushalte mit klimafreundlicher Wärme aus dem Rhein. Die Vorteile liegen dabei klar auf der Hand: „Fließgewässer sind flächendeckend verfügbar – über 400.000 Kilometer in Deutschland“, erklärt Haimerl. Zudem sei Wasser als Energieträger der Luft deutlich überlegen: „Wasser hat eine 800-fach höhere Dichte als Luft. Das heißt, es kann deutlich mehr Wärme speichern und liefern.“ Ein weiterer Pluspunkt: Die Temperaturen in Flüssen sind im Winter stabiler und meist höher als die Lufttemperaturen – ideal für den Betrieb während der Heizperiode.

Auch Prof. Boris Lehmann von der TU Darmstadt sieht großes Potenzial: „Flüsse ziehen sich wie ein natürliches Fern­wärmenetz durch unsere Landschaften. Viele Metropolregionen liegen direkt an ihnen.“ Und: Im Vergleich zur oft gehypten Luftwärme seien Flusswärmepumpen thermodynamisch viel effizienter.

Doch was heißt das konkret für die Energiewende? Die Fraunhofer-Forscherin Billerbeck hat gerechnet: „Für 2050 kommen wir auf ein technisch nutzbares Potenzial von etwa 45 Terawattstunden – allein durch Flusswärmepumpen.“ Eine Studie der TU Braunschweig kommt sogar auf ein „ökologisch nutzbares Fließgewässerwärmepotenzial von 860 bis 900 TWh pro Jahr“.

Was wäre, wenn man das mit der bestehenden Wasserkraft kombiniert? „Die Kombination ist besonders sinnvoll“, sagt Haimerl. „Wasserkraftwerke nutzen ohnehin den Flussabfluss und haben bereits Infrastrukturen wie Ein- und Ausleitungsbauwerke, Rechen oder Fischwanderhilfen.“ Und wo bereits Wasser entnommen wird, muss man das Genehmigungsverfahren für die Wärmenutzung nicht neu erfinden. So entsteht das, was Haimerl „Wasser-Wärme-Kraftwerke“ nennt – Anlagen, die gleichzeitig Strom und Wärme produzieren. Der aus Wasserkraft gewonnene Strom treibt direkt vor Ort die Wärmepumpe an. Das spart Netzentgelte und senkt Verluste. Gleichzeitig wird die Wirtschaftlichkeit kleiner Wasserkraftanlagen erhöht, was sie für Investoren attraktiver macht.

„Unsere Flüsse sind oft zu warm“

Wie groß müssen solche Anlagen sein? „Schon kleine Wasserkraftwerke mit vier bis zehn kW elektrischer Leistung können ein bis zehn MW Wärme erzeugen“, weiß Haimerl. Eine Anlage mit 100 kW Stromleistung könnte also Wärme für eine Kleinstadt liefern. Problem: die Entfernung zwischen Fluss und Wärmebedarf. „Entscheidend für die Wirtschaftlichkeit ist, dass die Wärme in der Nähe genutzt werden kann“, sagt Haimerl. Besonders innerstädtische Wasserkraftwerke seien daher interessant. In Städten wie Rosenheim zeigt sich das bereits in der Praxis: Die dortige Wärmepumpe nutzt Wasser aus einem kleinen Seitenarm.

Bei der Planung solcher Anlagen müssen auch ökologische Aspekte berücksichtigt werden. Prof. Florian Leese von der Universität Duisburg-Essen mahnt zur Vorsicht: „Temperaturveränderungen beeinflussen Entwicklungszyklen vieler Organismen im Wasser. Ein Temperaturabfall von zwei Grad kann bedeuten, dass Insekten später schlüpfen oder Fische kleinere Laichgrößen haben.“ Dennoch: Leese betont auch die Vorteile. „Unsere Flüsse sind heute oft zu warm – durch industrielle Einleitungen, Kläranlagen, fehlende Beschattung oder Klimawandel. Eine gezielte Abkühlung kann die Sauerstofflöslichkeit erhöhen und somit die Gewässerökologie verbessern.“

Wie realistisch ist es also, dass Flusswärmepumpen in Deutschland flächendeckend zum Einsatz kommen? Joachim Ferstl und Simon Koderer von der Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) sind vorsichtig optimistisch: „In Bayern könnten etwa 20 Prozent der Gemeinden ihren Wärmebedarf ganzjährig über Aquathermie decken.“ Und auch wenn das nicht überall möglich sei, biete die Technologie eine hervorragende Ergänzung zu anderen Wärmequellen.

Vielleicht steht die Wasserkraft vor einem neuen Kapitel. Eines, in dem sie zusammen mit Flusswärmepumpen zum Herzstück einer nachhaltigen Energieversorgung werden könnte. „Im Grunde sind sich auch alle Beteiligten einig, dass wir mit einer hydrothermischen Nutzung unsere Gewässer nicht degradieren wollen“, betont Dr. Karsten Rinke, Leiter des Departments Seenforschung, Themenbereich Wasserressourcen und Umwelt am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). „Aber die genaue Ausgestaltung ist noch nicht definiert.“ Diese Ungewissheit führe zu einem Entscheidungsstau, „da die betroffenen Behörden keinen Empfehlungs-Rahmen für die Genehmigungen haben.“ Diese seien gerade bei der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) in Bearbeitung.

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