Kraft des Flusses
Presseschau: ein Beitrag in der Welt am Sonntag
16.07.2025 von Verena Müller
Wenn Alexander Felk von seiner Arbeit erzählt, merkt man ihm an, wie stolz er darauf ist. Es fallen Begriffe wie „visionär“ und „einzigartig“. Felk, dunkles Hemd, Bart, sportlicher Typ, ist an etwas dran, von dem er sagt: „Das ist etwas absolut Neues.“ Er plant eine sogenannte Fluss-Wärmepumpe, eine Anlage etwas kleiner als ein Fußballfeld, die mit dem Rheinwasser Zehntausende Haushalte in Köln heizen soll, klimafreundlich und ohne große Eingriffe in die Natur.
Der 38-Jährige ist Ingenieur beim verantwortlichen Versorger Rheinenergie. Er sagt: „Wenn wir ernsthaft die Energiewende erreichen wollen, führt daran kein Weg vorbei.“
Bundesweit nutzen laut der Deutschen Energie- Agentur drei Viertel der Gebäude Gas und Öl, um Räume und Wasser zu erwärmen. Fast 40 Prozent der deutschen CO₂-Emissionen entstehen dadurch. Damit Deutschland bis 2045 klimaneutral werden kann, wie es die Bundesregierung im vergangenen Jahr beschlossen hatte, muss das Land nicht nur beim Strom auf Wind und Sonne umsteigen, auch das Heizen muss frei von fossilen Stoffen werden.
Bis 2030 sollen die Kommunen daher 30 Prozent ihrer Wärme aus Erneuerbaren oder nicht vermeidbarer Abwärme der Industrie beziehen, bis 2040 sollen es 80 Prozent sein. Große Hoffnungen liegen dabei auf Wärmepumpen. In Neubauten sind die Geräte zwar bereits die am häufigsten eingesetzten Systeme. Die größeren Versionen, die die kommunalen Fernwärmenetze versorgen könnten, findet man bis‐ lang jedoch kaum.
Dabei gelten gerade Flüsse als ergiebige Energiequellen für die Anlagen. Als eine Art Wärmeband ziehen sie sich durch die Landschaft, an ihren Ufern liegen die meisten großen Städte. Das Prinzip ist einfach: Die Pumpen ziehen Wärme aus dem Flusswasser ab und speisen diese Energie in ein Fernwärmenetz ein. Laut einer Studie der TU Braun‐ schweig könnten bis zu 94 Prozent des deutschen Bedarfs im sogenannten Niedertemperaturbereich, also vor allem beim Heizen und warmem Wasser, mit den Temperaturen aus den Gewässern gedeckt werden. Mehr als die Hälfte der 80 untersuchten Großstädte ließe sich sogar komplett mithilfe der Flüsse mit Wärme versorgen. Und das mit weit weniger Strom, als ihn die konventionellen Kleinpumpen in den Haushalten benötigen, um der Luft Hitze zu ziehen.
Das Wasser in den Flüssen ist an den meisten Wintertagen wärmer als die Luft; die Anlagen brauchen weniger Energie, um die gewünschte Temperatur in den Rohren zu erreichen.
So verlockend es klingt – die Großvarianten sind bis‐ lang ein absolutes Nischenprodukt. Lediglich 3500 Haushalte versorgt die deutschlandweit erste Fluss- Wärmepumpe seit knapp zwei Jahren in Mannheim. Daneben gibt es zwar noch mehr als hundert weitere Anlagen. Sie sind jedoch meist winzig, oft nur an einer einzigen Mühle, für eine Handvoll Häuser. In anderen Ländern, vor allem in Skandinavien, sind die Systeme hingegen längst wesentlicher Bestandteil der Wärmenetze. Spricht man mit Ökonomen und Ökologen über die hiesigen Gründe, geht es um Genehmigungen und Kosten, Akzeptanz – und billiges russisches Gas. Selbst Ingenieur Felk macht klar: „Es gibt viele Schwierigkeiten.“ Wärmepumpen, die ihre Energie aus den Gewässern ziehen, funktionieren ähnlich wie herkömmliche Geräte in den Haushalten. Sie zweigen einen Teil des Wassers ab, filtern ihn und leiten ihn in das Innere der Anlage. Ein Kältemittel greift die darin gespeicherte Energie ab, die Fluten selbst gelangen leicht abgekühlt wie‐ der in den Fluss zurück. Das erwärmte Kältemittel verdampft. Dieser Dampf wird zusammengepresst, wobei er sich aufheizt und seine Energie an das Wasser im Fernwärmenetz abgibt. Das Kältemittel kühlt sich ab, es wird wieder flüssig. Der Prozess beginnt von Neuem. Auf mehr als 100 Grad lässt sich dadurch das Wasser im Fernwärmenetz erhitzen. Und das selbst dann, wenn der Fluss nur fünf Grad hat. So „absolut neu“ wie Felk erklärt, ist die Idee eigentlich nicht. Nur die Dimensionen sind es. Die Schweiz setzt schon seit fast 90 Jahren auf die Energie aus dem Fluss. Bereits seit 1938 heizt Zürich als einer der Ersten überhaupt sein Rathaus nicht mehr mit Kohle, sondern mit der Limmat, die unter ihm hindurchfließt. Hierzulande entdeckt man hingegen erst jetzt das Potenzial, das in Rhein und Ruhr, Spree und Saale steckt.
VIELE FLIESSENDE GEWÄSSER WÄREN GEEIGNET
Wie groß das ist, untersucht Jessika Gappisch von der TU Darmstadt gemeinsam mit ihren Kollegen. Eigentlich, so die Umweltingenieurin, habe man auch in Deutschland schon früh gewusst, dass es funktioniert. „Es bestand nur keine Notwendigkeit.“ Die konventionellen Systeme für Gas und Öl seien etabliert gewesen, die Importe aus Russland „unschlagbar günstig“. Sie sagt: „Die Investitionen und das Risiko waren lange einfach zu hoch.“ Inzwischen weiß die 31-Jährige aus ihren Untersuchungen: Prinzipiell sind alle fließenden Gewässer für die Pumpen geeignet, auch die schmaleren und selbst die Bäche. „Planung und Bau sind aber erst mal teuer“, sagt sie. An Strömen, an denen viel Wasser fließt, möglichst warm, sauber und in hohen Pegeln, eignen sich daher besonders. Die Filter würden seltener verstopfen, die Gefahr, im Winter zu gefrieren, sei geringer und die Ausbeute im Verhältnis zu den Investitionen schlicht größer. Noch praktikabler, fügt Gappisch an, werden die Anlagen unter einer Bedingung: Wenn sie mit einem sogenannten kalten Nahwärmenetz zusammenarbeiten. Mehr als 50 solcher Netze gibt es laut einer Schätzung der RWTH Aachen bereits.
Ähnlich wie in den normalen Fernwärmenetzen transportiert darin das Wasser durch ein Netz aus Rohren die gespeicherte Energie von der Quelle zu den Haushalten und den anderen Abnehmern. Es ist aber nicht 90 oder gar mehr als 100 Grad heiß, sondern lediglich rund 20 Grad. An den Gebäuden selbst heben konventionelle Wärmepumpen die Werte auf das gewünschte Wohlfühllevel. Der Vorteil dieser Variante: Die Pumpen arbeiten am effizientesten, wenn sich die Temperaturen zwischen der Quelle und des zu beheizenden Mediums – zwischen dem Wasser im Fluss und dem in den Rohren – nicht zu sehr unterscheiden. Hinzu kommt, dass solche Systeme anders als konventionelle Netze Häuser nicht nur heizen können. Sie können sie auch kühlen. Gerade an heißen Sommertagen kann das Wasser den Gebäuden die Hitze entziehen, und das deutlich umweltfreundlicher als Klimaanlagen, die aktiv kalte Luft in den Raum blasen.
Wo denn die „vielen Schwierigkeiten“ bei der Kölner Anlage liegen? Projektleiter Felk sagt: „Technisch sind wir inzwischen startklar.“ Lange hätte ihnen etwa das Kältemittel Kopfzerbrechen bereitet, insbesondere für diese Dimensionen. In der Vergangenheit eingesetzte Mittel seien zwar oft besonders einfach einsetzbar gewesen, dafür aber extrem umwelt- und klimaschädlich oder hochexplosiv und entzündlich. Ihre Wahl fiel auf Ammoniak. Im Falle eines Unfalls wäre das zwar in großen Mengen ebenfalls giftig. Zahlreiche Sicherheitssysteme sollen aber verhindern, dass es in die Natur gelangt. Auch mit dem Strom, der die Anlage antreibe, sei es nicht so einfach gewesen, erzählt er. „Die Pumpen brauchen so viel wie eine Kleinstadt.“
Sie hatten jedoch Glück: Das Kraftwerk Niehl, zu dem die Großwärmepumpen gehören werden, hatte bereits einen Höchstspannungsanschluss, um überschüssigen Strom ins Netz einspeisen zu können. Mit weiteren Trafos und Schaltanlagen wollen sie sich künftig daraus bedienen. Ihr Plan: Bei hohen Strompreisen auf Gas setzen, bei günstigen auf die Pumpen. Eine Kombination, so hoffen sie, die langfristig die Heizpreise stabil hält, gar senkt. Andere Experten sind da skeptischer.
Darunter Dietrich Schmidt, Fachmann für städtische Wärmesysteme am Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik. Er sagt: „Dass der Strom so teuer ist und oft noch nicht genügend vorhanden, ist ein echtes Problem.“ Im Vergleich zum „bislang noch billigen Erdgas“ mache das den Betrieb der Anlagen teuer, die Risiken hoch. Trotzdem gibt auch er zu verstehen: „Es gibt nicht so viele fossilfreie Alternativen.“ Die konventionelle Wärmepumpe sei noch stromintensiver, die Geothermie oft noch teurer und nicht überall verfügbar, Biomasse nicht effizient genug. Er hofft daher auf die derzeit diskutierten günstigeren Strompreise für die Industrie – und eine öffentliche Förderung.
Das ist ein Auszug aus dem Originalbeitrag, der in der Welt am Sonntag erschienen ist.